Logo des Republikanischer Anwältinnen und Anwälteverein e.V., ein Quadrat in einem dunklen Rotton, darauf steht in serifenbetonten Kapitalen die Abkürzung RAV AufRecht & Solidarisch RAV Kongress 13. bis 15. Juni 2025

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Programm

14. Juni, 17:0019:00

14. Juni, 17:0019:00

„Träume von einer besseren Welt“?

 

 

Feministische Utopien der „Wendezeit“(1) und rechtspolitische Kämpfe heute

Im Winter der Anarchie 1989/90 schien alles möglich. Der autoritäre DDR-Sozialismus hatte ausgedient. In Küchen, Kirchen und einer endlich errungenen politischen Öffentlichkeit wurde auch eine vielfältige und veränderungsfreudige Frauenbewegung laut, die das sozialistische Patriarchat nicht gegen ein kapitalistisches Patriarchat eintauschen wollte:

Wollen wir uns etwa mit den Herren in Bonn wiedervereinigen, die Diktatur des Politbüros durch die Diktatur des Bundeskanzleramts ersetzen? […] Die Frauen haben kein Vaterland zu verlieren, sondern eine Welt zu gewinnen.“(2) „Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise ist zwar eine Voraussetzung, aber keine Garantie für die Aufhebung patriarchaler Unterdrückung.“(3)

Frauenbewegungen der Wendezeit formulierten ihre Erwartungen an eine feministische, antirassistische und solidarische Gesellschaft jenseits kapitalistischer Strukturen, mit Menschenrechten, Umweltschutz, Nichtdiskriminierung, einem ökologischen Wirtschaftssystem, sozialer Infrastruktur, friedlicher Konfliktlösung, Dekolonialisierung und Ende der Ausbeutung, Geschlechtergerechtigkeit und zivilgesellschaftlicher Demokratie.

Diese Utopien als „Träume von einer besseren Welt“ wirken in der derzeitigen Realität multipler Krisen mehr denn je wie aus der Zeit gefallen. Zugleich waren die Forderungen durchaus sehr konkret und sind von beeindruckender Aktualität. In anderen Worten finden sie sich bis heute in Projektbeschreibungen, in Parteiprogrammen und auf Demoschildern. Sie sind geteilte Träume und bis heute unerfüllt.

Die politischen Forderungen der Frauenbewegungen der Wendezeit scheiterten nicht an fehlender Relevanz. Mit dem Beitritt der DDR wurde das „historische Möglichkeitsfenster“ genutzt, um anachronistische politische- wie Geschlechterverhältnisse der alten Bundesrepublik noch für einige Jahre zu bewahren, das „Vaterland“ triumphieren zu lassen(4) und einen mörderischen Nationalismus zu entfesselni(5). Dagegen hatten die in der DDR erprobten widerständigen politischen Praxen keine Chance und es fehlte auch an breiterer Unterstützung. Die Bündnisfähigkeit der (weißen) ostdeutschen Frauenbewegungen war begrenzt. Es fehlte an antirassistischen politischen Praxen, Reflexionen über den eigenen Repräsentationsanspruch und Erfahrungen mit (westdeutscher) institutionalisierter Politik.

Und doch können die Träume von einer besseren Welt, wie die feministischen Utopien der Wendezeit, uns gerade in Zeiten von Repression und Krisen anrühren. Eine Rückbesinnung soll dabei keine einfachen Lösungen bieten, sondern aktuelle Kämpfe stärken und in kritischer Solidarität die politische Macht von Utopien entfalten. Wer träumt, will Veränderung.

Der RAV-Kongress findet in Leipzig statt. Wir wollen den Ort würdigen, indem wir uns an Menschen erinnern, die hier und andernorts im Osten vor dreieinhalb Jahrzehnten für politische Veränderungen gekämpft haben. Wir möchten miteinander ins Gespräch kommen über die Kraft der Utopie und unerfüllte politische Sehnsüchte, aber auch die Fallstricke von Gruppenträumen und die Notwendigkeit solidarischer Praxis.

Gesprächspartner*innen:
N.N.

Endnoten
(1) Die Begrifflichkeiten sind schwierig. Zwar hat Egon Krenz den Begriff ‚Wende‘ nicht geprägt, aber doch korrumpiert. Die stattdessen häufig bevorzugte Bezeichnung als ‚friedliche Revolution‘ schließt die Perspektiven nicht-weißer Menschen aus, indem sie die rassistische Gewalt eines entfesselten Nationalismus unterschlägt. Der Begriff ‚Deutsche Einheit‘ suggeriert oft einen alternativ- wie reibungslosen Prozess. Darum soll es hier beim umstrittenen Begriff ‚Wende‘ bleiben.
(2) Ina Merkel, Ohne Frauen ist kein Staat zu machen. Einige Frauen-Fragen an ein alternatives Gesellschaftskonzept oder: Manifest für eine autonome Frauenbewegung, in: Cordula Kahlau (Hrsg.), Aufbruch! Frauenbewegung in der DDR. Dokumentation, 1990, S. 28 (30 f.).
(3) lila offensive (Hrsg.), Frauen in die Offensive. Texte und Arbeitspapiere der Gruppe „lila offensive“, 1990, S. 35.
(4) Brigitte Young, Triumph of the Fatherland. German Unification and the Marginalization of Women, 1999.
(5) Lydia Lierke & Massimo Perinelli (Hrsg.), Erinnern stören. Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive, 2020.

Änderungen am Programm und den Zeiten müssen evtl. noch vorgenommen werden – bitte flexibel bleiben.

Veranstalter sind der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV) und die Werner-Holtfort-Stiftung. Wir danken dem Leipziger Strafverteidiger e.V. für die Unterstützung.